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Pflanzengallen-Formen und Entstehung

Der Begriff „Pflanzengalle“ wurde bereits im Altertum von Hippokrates (ca. 460 v. Chr. – ca. 377 v. Chr.), einem griechischem Arzt, verwendet. Damals betrachtete man alle Gallen als eine Art Frucht der jeweiligen Pflanze. Die eigentliche wissenschaftliche Gallkunde begründet erst Marcello Malpighi (1628-1694), ein Arzt aus Bologna. In seinem Werk „Anatome plantarum“ werden unter dem Kapitel „De Gallis“ erstmals mehrere verschiedene Gallformen gründlich untersucht, voneinander abgegrenzt und beschrieben. Weiterhin steht im Mittelpunkt dieses Buches die Erkenntnis, dass jede Gallbildung durch Insekten oder Parasiten ausgelöst wird. Trotz dieser bahnbrechenden Erkenntnis ist es seit dieser Zeit nicht gelungen sehr viel Neues über Gallen und ihre Induktion herauszufinden und es ist bisher unmöglich, eine Pflanze zur Frucht- oder Gallbildung für ihren Eigengebrauch zu veranlassen, obwohl ein Gentransfer von Bakterien und Viren auf Pflanzen, Tiere und Menschen praktisch bereits durchführbar ist.

1.Theoretische Grundlagen
1.1Definition des Begriffs „Pflanzengalle“
„Unter Gallen oder Cecidien versteht man alle von einer Pflanze aktiv verursachten Bildungsabweichungen, die durch einen Parasiten, der sich von dieser Pflanze ernährt, hervorgerufen werden.“ [1]. Durch diese Definition werden sogenannte „passive Bildungsabweichungen“ eindeutig ausgegrenzt. Zu ihnen zählen z.B. Fraßspuren von Tieren aber auch Pflanzentumore. Bei Pflanzen gibt es auch unspezifische Reaktionen, vergleichbar einer Hautrötung beim Menschen nach einem Mückenstich. In diesem Fall ist die Entscheidung, ob nun eine Gallbildung vorliegt oder nicht manchmal verhältnismäßig schwer. Vereinfacht wird die Bewertung aber durch die Tatsache, dass die Mehrzahl der Gallen eine spezifische äußere Gestalt und innere Form besitzen. Diese Pflanzengallen, die eine wohlgestaltete Form auszeichnet, erinnern eher an Früchte als an „Missbildungen“. Dies unterstreichen eindrucksvoll auch Gallbezeichnungen wie Ananasgalle, Gallapfel oder Linsengalle. Weiterhin stellen die Gallbildungen eine Wachstumsreaktion der Pflanze dar, welche zeitlich und örtlich begrenzt ist und von der Stimulation eines Erregers unbedingt abhängig ist. Zur Wirtspflanze steht die vollständig entwickelte Galle in „ernährungsphysiologischer Beziehung“ [2], d.h. sie ernährt sich vom Wirt.
 
1.2Gallerreger, Wirtspflanzen und Wirtsbereiche
 
„Galls are induced by a great variety of organisms including viruses, bacteria, fungi, nematodes, mites, and insects.“[3] Nur verhältnismäßig wenige Gallinduktoren gehören zur Gruppe der Viren oder Viroiden, die meisten zu den lebenden Organismen. Bei diesen unterscheidet man zwischen Prokaryota, welche ausschließlich einige Bakteriengruppen und mykoplasmaartige Organismen erfassen, und Eukaryota. Die mykoplasmaartigen Organismen sind einfacher gebaut als Bakterien aber komplexer als Viren. Sie sind etwa 500nm große, wandlose Mikroorganismen und leben im Inneren von Wirtszellen, in denen sie sich vermehren. [4] Da bei den Eukaryonten eine sehr große Artenvielfalt vorherrscht, unterteilt man diese wiederum in die Gruppe der Pilze und der wirbellosen Tiere. Als Beispiel für Gallerreger aus der Klasse der niederen Pilze lassen sich besonders Vertreter der Gattung Plasmodiophora (Erreger der Kohlhernie) anführen, sowie Schlauch-, Rost-, und Brandpilze aus der Klasse der höheren Pilze. Bei der Gruppe der wirbellosen Tiere handelt es sich vor allem um Insekten, die sehr gut in der Lage sind, Prozesse der pflanzlichen Entwicklung für ihr Vorhaben zu nutzen. Weiterhin, aber in geringerem Maße, ist diese Fähigkeit auch bei Nematoden und Milben gegeben. Allein drei Ordnungen der Insekten, nämlich Pflanzensauger (Homoptera), Zweiflügler (Diptera) und Hautflügler (Hymenoptera) stellen die große Mehrheit der Gallerreger dar. 
Ferner unterscheidet man bei den Gallerregern zwischen Generalisten und oligophagen bzw. monophagen Arten. Generalisten, wie beispielsweise Nematoden „befallen mehr als 2000 Pflanzenarten“ [5] (siehe auch Tabelle 1, S.29), während andere Erreger, wie z.B. die Gallwespen, sich beinahe ausschließlich auf eine Wirtsfamilie, in diesem Fall auf Eichen, spezialisieren. Weiterhin ist es wichtig zu berücksichtigen, dass jeder Gall-induktor nur eine ganz spezifische Pflanzengalle induziert. Da die einzelnen Gallerreger sehr schwer zu unterscheiden sind, versucht man diese oft über die bestimmte Art und Form der Galle zu identifizieren.
So vielschichtig die Gallerreger, so zahlreich sind auch die Wirtspflanzen. Gallen kommen an verhältnismäßig vielen Pflanzenarten vor. In jeder Hauptgruppe des Pflanzenreichs gibt es mehrere Vertreter, bei denen eine Gallinduktion möglich ist. Die weitaus meisten Gallträger treten bei den Angiospermen, den bedecktsamigen Blütenpflanzen, auf, während bei den sporenbildenden Pflanzen, den Kryptogamen (z.B. Moose, Farne), nur selten eine Gallbildung möglich ist. In dieser Arbeit gehe ich deshalb ausschließlich auf Pflanzengallen der Angiospermen ein, denn diese sind ausführlicher erforscht. 
Als Wirtsbereiche für Pflanzengallen können grundsätzlich alle Teile einer Pflanze dienen. So unterscheidet man zwischen Blüten-, Blatt-, Spross- und Wurzelgallen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass viele Erreger einzelne Teile der Wirtspflanze bevorzugen oder ausschließlich an bestimmten Bereichen die Gallbildung induzieren. Weiterhin werden auch gleiche, jedoch örtlich voneinander getrennte Organe ein- und derselben Pflanze nicht gleichmäßig befallen. So induziert beispielsweise die Gallwespe Diplolepsis bevorzugt Sprossgallen an längeren vitaleren Sprossen. Ferner bevorzugen manche Erreger unterschiedliche Gewebestrukturen auch am selben Organ. So zeichnet z. B. bestimmte Milbenarten eine Vorliebe für Blattränder aus.
Als erschwerend für die Einordnung der Gallen und der Erforschung ihrer Entwicklung erweist sich die Tatsache, dass bei zahlreichen Gallerregern (z.B. Rost-, Brandpilze, Pflanzensauger und Gallwespen) Generations- und Wirtswechsel auftritt. Wenn sich mehrere Generationen mit unterschiedlicher Vermehrungsweise in regelmäßigem oder unregelmäßigem Wechsel ablösen, so spricht man von einem Generationswechsel. Ernähren sich die verschiedenen Generationen auch von unterschiedlichen Wirten, so liegt ein Wirtswechsel vor.
 
1.3Generations- und Wirtswechsel bei der Gallentwicklung
In der Abbildung 1 (siehe S.6) ist der Lebenszyklus der Eichenschwammgallwespe Biorhiza pallida dargestellt: Im Dezember des ersten Jahres schlüpfen flügellose Weibchen, die Generation mit ungeschlechtlicher Fortpflanzung. Diese Weibchen legen im Januar ihre unbefruchteten Eier in die Knospen der Eiche. Im Frühjahr entwickeln sich in den infizierten Knospen die in Abbildung 2 (siehe S.6) ersichtlichen, vielkammerigen Knospengallen, in denen die geschlechtliche Generation heranwächst. Die Verpuppung erfolgt von Juni bis Juli. Danach schlüpfen die geflügelten Männchen und die ungeflügelten Weibchen. Nach der Kopulation verkriechen sich die ungeflügelten Weibchen in den Boden und legen ihre befruchteten Eier in den Eichenwurzeln ab. Dort bilden sich Wurzelgallen, in denen die Erreger eine Entwicklungszeit von 16 bis 18 Monaten benötigen. Erst im Dezember des darauffolgenden Jahres wird der Lebenszyklus durch den Schlupf ausschließlich weiblicher Gallwespen (eingeschlechtliche Generation) geschlossen. 


Abbildung 1: Lebenszyklus der Eichenschwammgallwespe

Abbildung 7: Linsengalle am Eichenblatt