Was ist Sucht ?

siehe auch:
[Alkohol]  [Phasen der Alkoholsucht]

Auf diese Frage gibt es unzählige Antworten. Interessant ist eine Deutung aus biochemischer Sicht (aus dem Artikel "Gestörtes Gleichgewicht" SR 5/94, Dr. Helga Topel).

"Nach Auffassung der Biologen unter den Suchtforschern ist Sucht der Versuch, einen Mangel an körpereigenen Botenstoffen, die Lust auslösen, durch chemische Mittel zu ersetzen, um ein angeblich "normales" Empfinden wiederherzustellen. Der Mangel an körpereigenen Botenstoffen kann angeboren oder erworben sein. Aber wenn er besteht, folgt nach der "Kompensation" durch chemische Mittel ein Mechanismus, der das physiologische Gleichgewicht zerstört und eine "lebenslange Allergie" gegenüber dem Suchtmittel verursacht.

Man sieht die Suchtveranlagung als Disfunktion innerhalb des körpereigenen "Belohnungssystems" und hat gemessen, daß bei Alkoholkranken und Heroin-abhängigen der "Belohnungsstoff" Endorphin dreimal niedriger ist als bei Gesunden, während das Streßhormon viermal höher ist. Vom Verhältnis der beiden Stoffe hängt die individuelle Streßtoleranz ab. Bei Suchtveranlagten kann sich eine ausgeprägte Mißstimmung ergeben durch zuviel Streßhormon und zuwenig Endorphin.

Diese Anomalie kann angeboren sein, wird aber unglücklicherweise durch jahrelangen Alkoholkonsum noch verstärkt. Sie kann auch durch diesen Konsum erworben werden und chronisch bleiben. Bei wem das passiert, ist nicht vorauszusehen.

Es ist gelungen, Suchtmechanismus, Irreversibilität der Suchtkrankheit und das Entzugsphänomen biochemisch zu erhellen und zu untermauern. Was kann uns das in der Praxis nützen?"

 Der Artikel schließt mit einem Absatz über die Rückfallgefahr aus dieser Sicht, der hier etwas verkürzt wiedergegeben wird, weil er auf eine wichtige Konsequenz hinweist:

"Abgesehen von diesem biochemischen Mechanismus des Suchtablaufs gibt es immer noch das Endorphin-Defizit im nüchternen Zustand, das zum Ausbruch der Sucht-krankheit geführt hat und logischerweise auch eine Rückfallmotivation darstellt. Hier muß eine spezifische und gezielte psychologische Arbeit ansetzen, um den Kranken das Durchhalten der Abstinenz zu ermöglichen. Es hat wenig Sinn, Suchtkranken, die ohnehin an einem Mangel an Belohnungsträgern leiden, noch erhöhte Frustrations- toleranz" zu predigen und, wie es oft geschieht, ihre Neigung zu größeren Anregungen als "Anspruchshaltung" abzutun.

Erinnern wir uns daran, daß es mehrere Belohnungssysteme im Gehirn gibt, die unterschiedliche Substanzen als Auslöser haben und unterschiedliche Euphoriegefühle übermitteln. Kann man eine Euphorie nicht durch eine andere ersetzen?

Mangel an Endorphin, welches nur eine Vital-Euphorie auslöst, kann man durch Anregung zur Wahrnehmung höherer Funktionen kompensieren. Mit anderen Worten: Die Tendenz ist richtig, Suchtkranken zu kreativen Berufen oder Hobbys zu raten, denn dadurch erleben sie eine andere Art von Belohnung.

Der Wiederaufbau des Selbstwertgefühls ist für Suchtkranke der Beginn neuen Lebens und neuer Interessengebiete. Das Selbstwertgefühl eines Suchtkranken ist durch die Zustände in der Sucht vollständig zerschlagen. Nach dem Entzug muß der Kranke sich erst wieder auf die gesunden Komponenten innerhalb seiner Persönlichkeit rückbesinnen. Dabei braucht er unbedingt Hilfe."

(Translated by Gudrun Schuck who apologizes for a lack of technical jargon)

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